Materialien für die Schule
⇨Arbeitsblätter: Kerncurriculum Geschichte 2014, Niedersachsen
Geschichten zum Vorlesen
Ach so, ihr habt also eine Freistunde. Und jetzt wollt ihr eine Spezi. Aber bitte, aber sofort!
Stellt euch nur schon mal an den Tisch. Spezi kommt schon. Geschüttelt, nicht gerührt,
wie sich das für echte Spezi-Agenten gehört.
Und…? Schule…? Was macht ihr da gerade? Na-mens-kun-de, Familiennamen? Ist nicht
möglich! Das ist doch genau mein Thema!
Namenskunde ist spannend. Nicht wahr, das findet ihr auch. Du heißt doch Jensen mit
Nachnamen. Hör mal, das ist der totale Wikingername, jedenfalls ein skandinavischer
Name. Und du heißt Dumont, spricht sich Dümong und schreibt sich Dumont. Das ist
französisch, bedeutet irgendwas mit „Berg“. Ja, in Hamburg sind viele Franzosen
hängengeblieben. Sie wurden zu Hause wegen ihrer Religion verfolgt und suchten hier
Sicherheit. Ob ihr Dumonts auch dazu gehört oder aus einem anderen Grund in Hamburg
seid, das weiß ich natürlich nicht.
Also, mein Name, das wisst ihr, ist „Bock“, Heiner Bock, euer Bäcker von nebenan. Und
nun ratet mal, wo der herkommt, der Name, und was er bedeutet. Ihr werdet euch
wundern: Bock kommt aus dem Wendischen, dem Slawischen. Sagt euch nichts?
Na schön, dann fange ich mal ganz vorsichtig an. Die Slawen sind eine große
Bevölkerungsgruppe in Osteuropa, heute sogar in Asien. Wie? Europa sagt euch auch
nichts? Macht mich nicht schwach! Europa ist hier, unser Erdteil, der Kontinent von
Hamburg, klar? Ihr wollt mich wohl veräppeln! Aufpassen jetzt: Europa hat im
Wesentlichen drei große Völker- oder Sprachgruppen, das sind die Germanen, die
Slawen und die Romanen. Dazu kommen noch ein paar kleinere wie die Balten und
Kelten.
Zu den Germanen gehören wir, die Deutschen, jedenfalls die meisten von uns.
Deutschland ist sozusagen das Transitland der Völker, immer gewesen, entsprechend ist
hier die Mischung. Viele Skandinavier haben ebenfalls germanische Wurzeln, viele
Engländer, Holländer, Belgier, Schweizer, Österreicher.
Zur slawischen Sprachengruppe gehören die Polen, die Russen, die Tschechen,
Slowaken, Slowenen, Serben … ach, eine ganze Reihe von Völkern. Zum Beispiel auch
die Sorben, ein ganz kleines slawisches Völkchen, das es nur hier bei uns in Deutschland
gibt. Und dann sind da eben die Länder mit den romanischen Sprachen, zu denen
gehören Italien, Spanien, Frankreich, Rumänien und Moldawien, Portugal und Teile der
Schweiz.
Aber die Wikinger, die kennt ihr … Saufbolde, Raufbolde – über die muss ich euch nichts
sagen, da wisst ihr Bescheid.
Vielleicht nehmt ihr erst einmal einen Schluck von eurer Spezi, Prost! Und jetzt verrate ich
euch, mit wem ihr es zu tun habt: Mit Hei-ner Bock. Dreimal dürft ihr raten, was mit „Bock“
gemeint ist. Ihr denkt an Schafe, Ziegen, Karnickel? Könnte euch so passen!
Wenn man ein bisschen Wendisch kann, ist das mit dem Namen Bock ganz einfach.
„Bock“ geht auf das Wort „bog“, oder „boog“ zurück; das „g“ wird da manchmal wie in
„Garage“ gesprochen, also ein bisschen j-mäßig. Und „bog“ heißt: „Gott“.
Aber ihr dürft weiter „Bock“ zu mir sagen.
Mein „Bock“ geht vermutlich auf einen Vorfahren zurück, der Boguslaw oder so ähnlich
hieß. Auf Deutsch bedeutet „Boguslaw“ ungefähr „Gottlob“. Als die Menschen in Europa so
zahlreich wurden, dass man sie an ihren Vornamen nicht mehr unterscheiden konnte,
wurden Nachnamen hinzugefügt. Wie war das bei uns Bocks? Aus dem Männernamen
„Boguslaw“ ging der Familienname Bock hervor, indem der wendische Wortklang ein
wenig eingedeutscht wurde.
Es gibt unter uns Heutigen noch eine ganze Reihe von Menschen, deren Familiennamen
aus einer wendischen Sprache kommen. Die meisten wissen das vermutlich gar nicht. Ich
wusste es ja auch nicht, bis mein Nachbar, der Willert, mich mal darauf gestoßen hat. Der
olle Willert kommt ursprünglich aus Schleswig-Holstein. Da an der Ostsee haben im
Mittelalter auch Wenden gewohnt, und Vater Willert beschäftigt sich mit deren Geschichte.
Wir reden inzwischen gern mal darüber.
Um ehrlich zu sein: Dass ich ein Wende sein soll, fand ich anfangs gar nicht komisch.
Möchtest du ein Wende sein? Wikinger möchte man ja sofort sein, aber Wende…? Das
steckt wohl in uns Deutschen drin, dass wir mit den Slawen nichts zu tun haben wollen,
schon seit Jahrhunderten nicht. Mit den Engländern und Franzosen, ja. Das waren mal
die „Erbfeinde“ unserer Urgroßväter, aber wir haben uns inzwischen aneinander gewöhnt.
An unserer Beziehung zu den Slawen müssten wir komischerweise noch arbeiten. Dabei
stehen die meisten von uns den Slawen verwandtschaftlich näher als zum Beispiel den
Franzosen. Wir haben eindeutig mehr slawische als englische oder französische
Vorfahren.
Aber das schieben wir schamhaft beiseite; eine merkwürdige Sache ist das.
Mich haben die alten Wenden ja irgendwann gepackt. Ich möchte zu gern wissen, wer
dieser Boguslaw gewesen sein könnte, von dem wir Bocks ja nun möglicherweise
abstammen. Ich sage „möglicherweise“, weil es für den Familiennamen „Bock“ vielleicht
auch andere Erklärungen gibt - die Wissenschaftler sind da nicht alle einer Meinung.
Egal - ich habe Gefallen daran gefunden, ein Wende sein zu können. Eure Freistunde
geht zu Ende? Alles klar! Wenn ihr mal wieder Zeit habt…
(Aus: Martin Fricke: Die Wenden – Ein kleine Einführung in die Geschichte unserer
anderen Ahnen, Berlin 2014)
An einem stürmischen Herbstabend im Jahre 1297 fuhr die Gräfin von Mansfeld, geborene
Gräfin zu Lüchow, mit ihrer Kutsche, die von vier Schimmeln gezogen wurde, von Dannenberg
zu ihrem Schloss nach Kolborn. Sie war nicht nur eine wunderschöne, sondern – wie
allgemein bekannt – auch eine herzensgute Frau. Mit einem guten Vierspänner musste man
für die etwa 20 Kilometer gute zwei Stunden einplanen. Das war nicht viel. Doch die Gräfin
war in Dannenberg erst spät losgekommen, so dass auf der Höhe des Ortes Grabow, noch
etwa acht Kilometer von ihrem Schloss entfernt, die Dunkelheit hereinbrach.
Im Dunkeln noch unterwegs zu sein, galt als nicht ganz ungefährlich. Denn um diese Zeit hatte
jedermann seine Arbeit getan und niemand hielt sich mehr draußen auf. Es sei denn, es
handelte sich um zwielichtiges Gesindel, das sich tagsüber in den Lüchower Wäldern
versteckte, um bei Anbruch der Dunkelheit späte Heimkehrer zu überfallen in der Hoffnung,
fette Beute machen zu können. So trieb der Kutscher die Pferde zur Eile an, als die Gräfin
plötzlich flehende Rufe vernahm. Sie überlegte nicht lange. „Halt an, Kutscher, und hilf mir
raus“, wies sie ihn an. Sie ging dem Klagen und Jammern nach. Der Kutscher folgte ihr zum
Schutz mit drei Schritt Abstand.
Als sie um eine Wegbiegung kamen, stießen sie plötzlich auf einen Greis, der zwischen zwei
knorrigen alten Eichen mit auf den Rücken gebundenen Armen bäuchlings auf der Erde lag. Er
hatte sein Gesicht zur Seite gedreht und blickte mit weit aufgerissenen Augen flehend auf
einen jüngeren Mann, der vor ihm stand. Dieser holte gerade mit einer Keule aus, um den
Alten zu erschlagen. „Halt“, rief die Gräfin energisch aus, „was macht ihr da?“
Und der Mann antwortete: „So, wie er seinen Vater erschlagen hat, weil er zu nichts mehr
nütze war, so werde ich ihn heute erschlagen. Meine Söhne werden eines Tages mit mir das
gleiche tun!“ Die Gräfin ließ sich vom Kutscher einen Beutel Geld, den er stets auf Geheiß
seiner Herrin bei sich trug, reichen und warf diesen dem Mann zu.
„Hier“, sagte sie, „ich kaufe dir sein Leben ab.“ Worauf der Sohn, ohne zu zögern, erwiderte:
„Gemacht! So lange das Geld recht, soll der Alte leben!“
Hier legte der Großvater eine Pause ein und setzte seine Pfeife neu in Brand.
„An dieser Stelle“, fuhr er dann fort, „teilt sich die Geschichte. Die einen erzählen, die Gäfin sei
zufrieden zu ihrer Kutsche zurückgekehrt, wissend, ein Leben verlängert zu haben. Und in der
Tat: Der Alte soll noch sieben Jahre bei seinem Sohn gelebt haben und dann eines natürlichen
Todes gestorben sein.“
Großvater nahm einen kräftigen Zug aus seiner Pfeife und sagte: „Möglich ist aber auch
folgendes Ende: Zufrieden kehrte die Gräfin zu ihrer Kutsche zurück, in der Meinung, ein
Leben verängert zu haben. Doch kaum war sie hinter der Wegbiegung verschwunden, hob der
Sohn die Keule und ließ sie mit Wucht auf den Kopf seines Vaters niedersausen. Dieser war
auf der Stelle tot.
Vor so viel Niedertracht sollen die Eichen aufgestöhnt und ihre Äste zum Ächzen gebracht
haben. Und der Wind soll im Zusammenspiel mit Blättern und dünnen Zweigen ein Geräusch
erzeugt haben, das (sich) wie verzweifeltes Jammern anhörte. Seitdem wird das Gehölz
„Jammerholz“ genannt.
(aus: Undine Stiwich / Jörg Düker: Das Jammerholz, Lüchow 1999)
Es mag um das Jahr 1890 gewesen sein, da saßen der Bauer Pörmke aus Rebensdorf,
der Bauer Schulten aus Lübbow und der Bauer Mennrich aus Dangensdorf im
Schinkenkrug in Lübbow zusammen.
Nach einigen Lagen Bier tauten sie auf und Bauer Schulten sagt, dass die Lütkis oder
Unnererdschen ein viel besseres Bier brauen könnten als jemals ein Mensch fertig
brächte. Bauer Mennrich hielt dagegen. Er war der Meinung, dass es die Unnererdschen
gar nicht gäbe, denn er hatte noch nie von ihnen gehört. „Was hat es denn bloß damit auf
sich“, fragte er trotzdem Schulten neugierig. „Was“, gab dieser ungläubig zurück, „du
kennst die Lütkis nicht? Dann hör mir mal zu!“ „Die Lütkis“, klärte Schulten auf, „sind
Zwerge, Unnererdsche, die auf Höfen in versteckten Winkeln leben. Gern wohnen sie
auch in Erdhügeln, wo die Urnen mit der Asche der Verstorbenen vergraben sind.
Meistens kann man sie in Rebensdorf auf dem Schwarzen Berge beobachten (hier nickte
Bauer Pörmke ganz wichtig und ernst mit den Kopf), aber auch in Sallahn auf dem
Schmalzberg und sogar in Lübbow bei den Tannen hat man sie gesehen. Hier aber nur
einmal. Sie hätten ihre Wäsche unter den Fichten getrocknet, hieß es. Wenn Gefahr
droht, gesehen zu werden, setzen die Lütkis eine Nebelkappe auf und werden sofort
unsichtbar.
Viele haben Angst vor ihnen. Denn sie stehen in dem Ruf, Kinder, die noch nicht getauft
sind, in ihrer Wiege auszutauschen. Sie nehmen das ungetaufte Kind mit und legen
stattdessen ein fremdes mit einem Wasserkopf hinein. Ist das Kind aber getauft, können
die Lütkis nichts mehr ausrichten. Um sie günstig zu stimmen und vom Kindestausch
abzuhalten, streuen die Mütter Buchweizengrütze um die Wiege. Auch bieten sie Schere
und Zwirn zum Geschenk an. Damit alles auch gefunden werden kann, wir eine
brennende Kerze neben der Wiege aufgestellt. Unschlagbar aber sind die Lütkis in der
Back- und Braukunst. Wenn sie backen wollen, holen sie sich heimlich einen Backtrog aus
dem Dorf, bringen ihn nach Gebrauch zurück und legen ein kleines Brot hinein. Das
schmeckt so gut, dass es noch keinem gelang, es nachzubacken. Auch Bier und Schnaps
brauen sie selbst. Und beides schmeckt so sanft und mild, dass niemand, der es trinken
durfte, jemals etwas anderes haben wollte.“ - ...
(aus: Undine Stiwich / Jörg Düker: Das Jammerholz, Lüchow 1999)
… und so erzählen die Sorben über die Lutken:
Laschki am Schlossberg in Burg hatte ein neues Tor aus Zaunlatten mit spitzen Enden
gebaut. Die Lutken wollten wieder den Backtrog borgen; doch trauten sie sich nicht heran.
Die Leute beruhigten sie.
„Wir wollen nicht den Nichtbacktrog borgen!“ Alle setzten sich hinein und der Trog rollte
wie ein Wagen fort. Am anderen Tage brachten sie ihn zurück mit kleinen schmackhaften
Broten darin als Dank.
(aus: Evelyn Antje Pielenz / Erwin Hannusch: Willkommen – Sagen der Lausitz, Cottbus
2014)
In vielen Überlieferungen wird der Droak mit dem Teufel gleichgesetzt oder ist mit ihm als
verwandt angesehen. Der ziehende Droak wird verglichen mit einem glühenden oder brennenden
Wesen, das durch die Lüfte rast. Meist suchte er Zuflucht im Uhlenloch eines Bauernhauses. Und
wenn man ihn nicht verärgerte, brachte er auch Glück und Geld. So glaubte der Volksmund, dass
niemals demjenigen die „Swoartzupp“ (Schwarzsauer, eine Suppe aus Blut, Mehl, Grütze,
Pflaumen, süßsauer mit Pfoten, Schnauze und Ohren des Schweins) ausgehen würde, der den Droak
unter seinem Dach beherbergte. Außerdem gab es einige Sprüche, die ihm zugerufen werden
sollten, wenn man ihn sah. Man musste sich unter eine Traufe stellen und rufen: „Halfpart“. Dann
warf der Droak Geld und Schmuck herab. Auch konnte man versuchen, ein Taschenmesser über ihn
zu werfen. Dies belohnte er ebenfalls mit Gold. Gründe hierfür wurden nicht genannt. Niemals aber
durfte ihn jemand verärgern,
(aus: Undine Stiwich / Jörg Düker: Butz, Löfft und Paggeleitz, Lüchow 2007)
… und so erzählen die Sorben über den Droak:
Da hatte doch einst ein Bauer einen Drachen, der ihm immer gutes Essen und sogar noch
Geld brachte. Als dieser Mann nun genug Geld besaß, wollte er den Plon nicht mehr
vorsorgen. Deshalb nagelte er einen Strumpf mit Loch an den Dachbalken und sagte,
dass er dem Drachen erst wieder Futter gebe, wenn der Strumpf mit Geld gefüllt ist. Der
Drache sah ein, dass er das nie schaffen konnte und verließ das Haus. Aber alles Geld,
das der Bauer gesammelt hatte, nahm er mit.
(aus: Evelyn Antje Pielenz / Erwin Hannusch: Willkommen – Sagen der Lausitz, Cottbus
2014)
Die Wenden waren zu dieser Zeit rohe Gesellen und kernige Naturburschen. Mit Gefühlen
konnten sie nicht so recht umgehen und es hielt sie auch nicht lange an einem Ort. Sie
starben lieber auf dem Schlachtfeld als im Bett, verlangten eher nach dem Schwert als
nach der letzten Ölung. Begleitet wurden sie stets von einer Anzahl zweifelhafter
Gottheiten. Sie verehrten besonders ihre Hauptgötter wie Bilebog, der weiße Gott, der für
das Gute, den Segen und den hellen Sonnenschein zuständig war, Oder Tschernebog,
den schwarzen Gott. Er lenkte das Böse, brachte Verderben und Unheil. Snatowit
schließlich ritt nachts auf einem weißen, schnaubenden Pferd umher und entschied über
Sieg und Niederlage in den endlosen Kriegen.
Doch damit nicht genug. Sie glaubten an Todes- und Wasserfrauen, an bucklige Zwerge,
Wald-, Erd- und Luftgeister, die in ihr Leben segensreich und unheilvoll eingriffen.
(aus: Undine Stiwich / Jörg Düker: Butz, Löfft und Paggeleitz, Lüchow 2007)
Vorschläge für Arbeitsblätter. Die Arbeitsblätter können in Zusammenhang mit den Einführungstexten bearbeitet werden.
Die Arbeitsblätter wurden von Heide Kowalzik für den Sachkunde- und Geschichtsunterricht der 3./4. Klasse erstellt.
Die Arbeitsblätter zu den Themen "Rundlinge", "Niedersachsenhaus" und "Bäuerliches Leben früher" wurden von Frau Zarski zur Verfügung gestellt.