WENDISCHER FREUNDES- UND ARBEITSKREIS e. V.
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Ach so, ihr habt also eine Freistunde. Und jetzt wollt ihr eine Spezi. Aber bitte, aber sofort! Stellt euch nur schon mal an den Tisch. Spezi kommt schon. Geschüttelt, nicht gerührt, wie sich das für echte Spezi-Agenten gehört. Und…? Schule…? Was macht ihr da gerade? Na-mens-kun-de, Familiennamen? Ist nicht möglich! Das ist doch genau mein Thema!
Namenskunde ist spannend. Nicht wahr, das findet ihr auch. Du heißt doch Jensen mit Nachnamen. Hör mal, das ist der totale Wikingername, jedenfalls ein skandinavischer Name. Und du heißt Dumont, spricht sich Dümong und schreibt sich Dumont. Das ist französisch, bedeutet irgendwas mit „Berg“. Ja, in Hamburg sind viele Franzosen hängengeblieben. Sie wurden zu Hause wegen ihrer Religion verfolgt und suchten hier Sicherheit. Ob ihr Dumonts auch dazu gehört oder aus einem anderen Grund in Hamburg seid, das weiß ich natürlich nicht.
Also, mein Name, das wisst ihr, ist „Bock“, Heiner Bock, euer Bäcker von nebenan. Und nun ratet mal, wo der herkommt, der Name, und was er bedeutet. Ihr werdet euch wundern: Bock kommt aus dem Wendischen, dem Slawischen. Sagt euch nichts? Na schön, dann fange ich mal ganz vorsichtig an. Die Slawen sind eine große Bevölkerungsgruppe in Osteuropa, heute sogar in Asien. Wie? Europa sagt euch auch nichts? Macht mich nicht schwach! Europa ist hier, unser Erdteil, der Kontinent von Hamburg, klar? Ihr wollt mich wohl veräppeln! Aufpassen jetzt: Europa hat im Wesentlichen drei große Völker- oder Sprachgruppen, das sind die Germanen, die Slawen und die Romanen. Dazu kommen noch ein paar kleinere wie die Balten und Kelten.
Zu den Germanen gehören wir, die Deutschen, jedenfalls die meisten von uns. Deutschland ist sozusagen das Transitland der Völker, immer gewesen, entsprechend ist hier die Mischung. Viele Skandinavier haben ebenfalls germanische Wurzeln, viele Engländer, Holländer, Belgier, Schweizer, Österreicher. Zur slawischen Sprachengruppe gehören die Polen, die Russen, die Tschechen, Slowaken, Slowenen, Serben … ach, eine ganze Reihe von Völkern. Zum Beispiel auch die Sorben, ein ganz kleines slawisches Völkchen, das es nur hier bei uns in Deutschland gibt. Und dann sind da eben die Länder mit den romanischen Sprachen, zu denen gehören Italien, Spanien, Frankreich, Rumänien und Moldawien, Portugal und Teile der Schweiz.
Aber die Wikinger, die kennt ihr … Saufbolde, Raufbolde – über die muss ich euch nichts sagen, da wisst ihr Bescheid.
Vielleicht nehmt ihr erst einmal einen Schluck von eurer Spezi, Prost! Und jetzt verrate ich euch, mit wem ihr es zu tun habt: Mit Hei-ner Bock. Dreimal dürft ihr raten, was mit „Bock“ gemeint ist. Ihr denkt an Schafe, Ziegen, Karnickel? Könnte euch so passen! Wenn man ein bisschen Wendisch kann, ist das mit dem Namen Bock ganz einfach. „Bock“ geht auf das Wort „bog“, oder „boog“ zurück; das „g“ wird da manchmal wie in „Garage“ gesprochen, also ein bisschen j-mäßig. Und „bog“ heißt: „Gott“. Aber ihr dürft weiter „Bock“ zu mir sagen.
Mein „Bock“ geht vermutlich auf einen Vorfahren zurück, der Boguslaw oder so ähnlich hieß. Auf Deutsch bedeutet „Boguslaw“ ungefähr „Gottlob“. Als die Menschen in Europa so zahlreich wurden, dass man sie an ihren Vornamen nicht mehr unterscheiden konnte, wurden Nachnamen hinzugefügt. Wie war das bei uns Bocks? Aus dem Männernamen „Boguslaw“ ging der Familienname Bock hervor, indem der wendische Wortklang ein wenig eingedeutscht wurde.
Es gibt unter uns Heutigen noch eine ganze Reihe von Menschen, deren Familiennamen aus einer wendischen Sprache kommen. Die meisten wissen das vermutlich gar nicht. Ich wusste es ja auch nicht, bis mein Nachbar, der Willert, mich mal darauf gestoßen hat. Der olle Willert kommt ursprünglich aus Schleswig-Holstein. Da an der Ostsee haben im Mittelalter auch Wenden gewohnt, und Vater Willert beschäftigt sich mit deren Geschichte. Wir reden inzwischen gern mal darüber.

Um ehrlich zu sein: Dass ich ein Wende sein soll, fand ich anfangs gar nicht komisch. Möchtest du ein Wende sein? Wikinger möchte man ja sofort sein, aber Wende…? Das steckt wohl in uns Deutschen drin, dass wir mit den Slawen nichts zu tun haben wollen, schon seit Jahrhunderten nicht. Mit den Engländern und Franzosen, ja. Das waren mal die „Erbfeinde“ unserer Urgroßväter, aber wir haben uns inzwischen aneinander gewöhnt. An unserer Beziehung zu den Slawen müssten wir komischerweise noch arbeiten. Dabei stehen die meisten von uns den Slawen verwandtschaftlich näher als zum Beispiel den Franzosen. Wir haben eindeutig mehr slawische als englische oder französische Vorfahren.
Aber das schieben wir schamhaft beiseite; eine merkwürdige Sache ist das. Mich haben die alten Wenden ja irgendwann gepackt. Ich möchte zu gern wissen, wer dieser Boguslaw gewesen sein könnte, von dem wir Bocks ja nun möglicherweise abstammen. Ich sage „möglicherweise“, weil es für den Familiennamen „Bock“ vielleicht auch andere Erklärungen gibt - die Wissenschaftler sind da nicht alle einer Meinung. Egal - ich habe Gefallen daran gefunden, ein Wende sein zu können. Eure Freistunde geht zu Ende? Alles klar! Wenn ihr mal wieder Zeit habt…

(Aus: Martin Fricke: Die Wenden – Ein kleine Einführung in die Geschichte unserer anderen Ahnen, Berlin 2014)

Das Jammerholz zu Grabow

An einem stürmischen Herbstabend im Jahre 1297 fuhr die Gräfin von Mansfeld, geborene Gräfin zu Lüchow, mit ihrer Kutsche, die von vier Schimmeln gezogen wurde, von Dannenberg zu ihrem Schloss nach Kolborn. Sie war nicht nur eine wunderschöne, sondern – wie allgemein bekannt – auch eine herzensgute Frau. Mit einem guten Vierspänner musste man für die etwa 20 Kilometer gute zwei Stunden einplanen. Das war nicht viel. Doch die Gräfin war in Dannenberg erst spät losgekommen, so dass auf der Höhe des Ortes Grabow, noch etwa acht Kilometer von ihrem Schloss entfernt, die Dunkelheit hereinbrach.
Im Dunkeln noch unterwegs zu sein, galt als nicht ganz ungefährlich. Denn um diese Zeit hatte jedermann seine Arbeit getan und niemand hielt sich mehr draußen auf. Es sei denn, es handelte sich um zwielichtiges Gesindel, das sich tagsüber in den Lüchower Wäldern versteckte, um bei Anbruch der Dunkelheit späte Heimkehrer zu überfallen in der Hoffnung, fette Beute machen zu können. So trieb der Kutscher die Pferde zur Eile an, als die Gräfin plötzlich flehende Rufe vernahm. Sie überlegte nicht lange. „Halt an, Kutscher, und hilf mir raus“, wies sie ihn an. Sie ging dem Klagen und Jammern nach. Der Kutscher folgte ihr zum Schutz mit drei Schritt Abstand.

Als sie um eine Wegbiegung kamen, stießen sie plötzlich auf einen Greis, der zwischen zwei knorrigen alten Eichen mit auf den Rücken gebundenen Armen bäuchlings auf der Erde lag. Er hatte sein Gesicht zur Seite gedreht und blickte mit weit aufgerissenen Augen flehend auf einen jüngeren Mann, der vor ihm stand. Dieser holte gerade mit einer Keule aus, um den Alten zu erschlagen. „Halt“, rief die Gräfin energisch aus, „was macht ihr da?“
Und der Mann antwortete: „So, wie er seinen Vater erschlagen hat, weil er zu nichts mehr nütze war, so werde ich ihn heute erschlagen. Meine Söhne werden eines Tages mit mir das gleiche tun!“ Die Gräfin ließ sich vom Kutscher einen Beutel Geld, den er stets auf Geheiß seiner Herrin bei sich trug, reichen und warf diesen dem Mann zu.

„Hier“, sagte sie, „ich kaufe dir sein Leben ab.“ Worauf der Sohn, ohne zu zögern, erwiderte: „Gemacht! So lange das Geld recht, soll der Alte leben!“
Hier legte der Großvater eine Pause ein und setzte seine Pfeife neu in Brand. „An dieser Stelle“, fuhr er dann fort, „teilt sich die Geschichte. Die einen erzählen, die Gäfin sei zufrieden zu ihrer Kutsche zurückgekehrt, wissend, ein Leben verlängert zu haben. Und in der Tat: Der Alte soll noch sieben Jahre bei seinem Sohn gelebt haben und dann eines natürlichen Todes gestorben sein.“
Großvater nahm einen kräftigen Zug aus seiner Pfeife und sagte: „Möglich ist aber auch folgendes Ende: Zufrieden kehrte die Gräfin zu ihrer Kutsche zurück, in der Meinung, ein Leben verängert zu haben. Doch kaum war sie hinter der Wegbiegung verschwunden, hob der Sohn die Keule und ließ sie mit Wucht auf den Kopf seines Vaters niedersausen. Dieser war auf der Stelle tot.
Vor so viel Niedertracht sollen die Eichen aufgestöhnt und ihre Äste zum Ächzen gebracht haben. Und der Wind soll im Zusammenspiel mit Blättern und dünnen Zweigen ein Geräusch erzeugt haben, das (sich) wie verzweifeltes Jammern anhörte. Seitdem wird das Gehölz „Jammerholz“ genannt.

(aus: Undine Stiwich / Jörg Düker: Das Jammerholz, Lüchow 1999)

Die Lütkis zu Lübbow

Es mag um das Jahr 1890 gewesen sein, da saßen der Bauer Pörmke aus Rebensdorf, der Bauer Schulten aus Lübbow und der Bauer Mennrich aus Dangensdorf im Schinkenkrug in Lübbow zusammen.

Nach einigen Lagen Bier tauten sie auf und Bauer Schulten sagt, dass die Lütkis oder Unnererdschen ein viel besseres Bier brauen könnten als jemals ein Mensch fertig brächte. Bauer Mennrich hielt dagegen. Er war der Meinung, dass es die Unnererdschen gar nicht gäbe, denn er hatte noch nie von ihnen gehört. „Was hat es denn bloß damit auf sich“, fragte er trotzdem Schulten neugierig. „Was“, gab dieser ungläubig zurück, „du kennst die Lütkis nicht? Dann hör mir mal zu!“ „Die Lütkis“, klärte Schulten auf, „sind Zwerge, Unnererdsche, die auf Höfen in versteckten Winkeln leben. Gern wohnen sie auch in Erdhügeln, wo die Urnen mit der Asche der Verstorbenen vergraben sind. Meistens kann man sie in Rebensdorf auf dem Schwarzen Berge beobachten (hier nickte Bauer Pörmke ganz wichtig und ernst mit den Kopf), aber auch in Sallahn auf dem Schmalzberg und sogar in Lübbow bei den Tannen hat man sie gesehen. Hier aber nur einmal. Sie hätten ihre Wäsche unter den Fichten getrocknet, hieß es. Wenn Gefahr droht, gesehen zu werden, setzen die Lütkis eine Nebelkappe auf und werden sofort unsichtbar.

Viele haben Angst vor ihnen. Denn sie stehen in dem Ruf, Kinder, die noch nicht getauft sind, in ihrer Wiege auszutauschen. Sie nehmen das ungetaufte Kind mit und legen stattdessen ein fremdes mit einem Wasserkopf hinein. Ist das Kind aber getauft, können die Lütkis nichts mehr ausrichten. Um sie günstig zu stimmen und vom Kindestausch abzuhalten, streuen die Mütter Buchweizengrütze um die Wiege. Auch bieten sie Schere und Zwirn zum Geschenk an. Damit alles auch gefunden werden kann, wir eine brennende Kerze neben der Wiege aufgestellt. Unschlagbar aber sind die Lütkis in der Back- und Braukunst. Wenn sie backen wollen, holen sie sich heimlich einen Backtrog aus dem Dorf, bringen ihn nach Gebrauch zurück und legen ein kleines Brot hinein. Das schmeckt so gut, dass es noch keinem gelang, es nachzubacken. Auch Bier und Schnaps brauen sie selbst. Und beides schmeckt so sanft und mild, dass niemand, der es trinken durfte, jemals etwas anderes haben wollte.“ - ...

(aus: Undine Stiwich / Jörg Düker: Das Jammerholz, Lüchow 1999)

Die Lutgen am Schlossberg

… und so erzählen die Sorben über die Lutken:

Laschki am Schlossberg in Burg hatte ein neues Tor aus Zaunlatten mit spitzen Enden gebaut. Die Lutken wollten wieder den Backtrog borgen; doch trauten sie sich nicht heran. Die Leute beruhigten sie. „Wir wollen nicht den Nichtbacktrog borgen!“ Alle setzten sich hinein und der Trog rollte wie ein Wagen fort. Am anderen Tage brachten sie ihn zurück mit kleinen schmackhaften Broten darin als Dank.

(aus: Evelyn Antje Pielenz / Erwin Hannusch: Willkommen – Sagen der Lausitz, Cottbus 2014)

Der Dorak

In vielen Überlieferungen wird der Droak mit dem Teufel gleichgesetzt oder ist mit ihm als verwandt angesehen. Der ziehende Droak wird verglichen mit einem glühenden oder brennenden Wesen, das durch die Lüfte rast. Meist suchte er Zuflucht im Uhlenloch eines Bauernhauses. Und wenn man ihn nicht verärgerte, brachte er auch Glück und Geld. So glaubte der Volksmund, dass niemals demjenigen die „Swoartzupp“ (Schwarzsauer, eine Suppe aus Blut, Mehl, Grütze, Pflaumen, süßsauer mit Pfoten, Schnauze und Ohren des Schweins) ausgehen würde, der den Droak unter seinem Dach beherbergte. Außerdem gab es einige Sprüche, die ihm zugerufen werden sollten, wenn man ihn sah. Man musste sich unter eine Traufe stellen und rufen: „Halfpart“. Dann warf der Droak Geld und Schmuck herab. Auch konnte man versuchen, ein Taschenmesser über ihn zu werfen. Dies belohnte er ebenfalls mit Gold. Gründe hierfür wurden nicht genannt. Niemals aber durfte ihn jemand verärgern,

(aus: Undine Stiwich / Jörg Düker: Butz, Löfft und Paggeleitz, Lüchow 2007)

Wie man den Drachen loswird

… und so erzählen die Sorben über den Droak:

Da hatte doch einst ein Bauer einen Drachen, der ihm immer gutes Essen und sogar noch Geld brachte. Als dieser Mann nun genug Geld besaß, wollte er den Plon nicht mehr vorsorgen. Deshalb nagelte er einen Strumpf mit Loch an den Dachbalken und sagte, dass er dem Drachen erst wieder Futter gebe, wenn der Strumpf mit Geld gefüllt ist. Der Drache sah ein, dass er das nie schaffen konnte und verließ das Haus. Aber alles Geld, das der Bauer gesammelt hatte, nahm er mit.

(aus: Evelyn Antje Pielenz / Erwin Hannusch: Willkommen – Sagen der Lausitz, Cottbus 2014)

Götter und Geister

Die Wenden waren zu dieser Zeit rohe Gesellen und kernige Naturburschen. Mit Gefühlen konnten sie nicht so recht umgehen und es hielt sie auch nicht lange an einem Ort. Sie starben lieber auf dem Schlachtfeld als im Bett, verlangten eher nach dem Schwert als nach der letzten Ölung. Begleitet wurden sie stets von einer Anzahl zweifelhafter Gottheiten. Sie verehrten besonders ihre Hauptgötter wie Bilebog, der weiße Gott, der für das Gute, den Segen und den hellen Sonnenschein zuständig war, Oder Tschernebog, den schwarzen Gott. Er lenkte das Böse, brachte Verderben und Unheil. Snatowit schließlich ritt nachts auf einem weißen, schnaubenden Pferd umher und entschied über Sieg und Niederlage in den endlosen Kriegen.
Doch damit nicht genug. Sie glaubten an Todes- und Wasserfrauen, an bucklige Zwerge, Wald-, Erd- und Luftgeister, die in ihr Leben segensreich und unheilvoll eingriffen.

(aus: Undine Stiwich / Jörg Düker: Butz, Löfft und Paggeleitz, Lüchow 2007)

Arbeitsblätter: Kerncurriculum

Vorschläge für Arbeitsblätter. Die Arbeitsblätter können in Zusammenhang mit den Einführungstexten bearbeitet werden.


Arbeitsblätter: Grundschule

Die Arbeitsblätter wurden von Heide Kowalzik für den Sachkunde- und Geschichtsunterricht der 3./4. Klasse erstellt.

Die Arbeitsblätter zu den Themen "Rundlinge", "Niedersachsenhaus" und "Bäuerliches Leben früher" wurden von Frau Zarski zur Verfügung gestellt.